Frage
Was ist neu an diesem Krieg?
Der Erste Weltkrieg stellt alle bisherigen kriegerischen Auseinandersetzungen in den Schatten. Es werden mehr Soldaten mobilisiert als je zuvor, neue Vernichtungswaffen entwickelt und massenweise produziert und die gesamte Gesellschaft in den Dienst des Kriegs gestellt.
Neu am Ersten Weltkrieg ist, dass dieser mit Armeen in der Größenordnung von jeweils einer bis zwei Millionen Mann auf jeder Seite beginnt und dass zum Ende hin mindestens 60 Millionen Soldaten weltweit mobilisiert werden. Allein das Deutsche Reich zieht mehr als 13,3 Millionen Männer zum Kriegsdienst heran. Auch die anderen Nationen schicken immer mehr Soldaten in den Krieg. Zwischen 1914 und 1918 mobilisieren Österreich-Ungarn acht Millionen, Russland 15 Millionen, Frankreich einschließlich der Kolonialtruppen 8,3 Millionen, Großbritannien und das British Empire neun Millionen Männer. Diese Zahlen sind beispiellos in der Geschichte.
Die Versorgung der riesigen Armeen stellt alle kriegführenden Länder vor gewaltige logistische und wirtschaftliche Herausforderungen. Das Bild zeigt deutsche Soldaten beim Schlachtfest.
© Kulturhistorisches Museum Rostock
Daraus folgt die zweite große Neuerung des Krieges, nämlich die Mobilisierung der gesamten Gesellschaft. Frauen müssen die Arbeitsplätze der Männer einnehmen und erhalten dadurch ein neues Selbstwertgefühl, auch wenn beispielsweise die meisten Arbeiterfrauen 1919 sehr gerne wieder an den heimischen Herd zurückkehren, anstatt für einen Hungerlohn zu arbeiten. Die Kinder wachsen zum großen Teil ohne Vater auf, was auch ihr Verhältnis zu sich selber und ihrem sozialen Umfeld entscheidend ändert und neue Formen von Autorität schafft.
Ein britisches Plakat fordert Frauen auf, sich freiwillig als Rüstungsarbeiterinnen zu melden.
© LOOKS/Library of Congress
Entscheidend neu am Ersten Weltkrieg ist zudem die Massenproduktion von Vernichtungswaffen aller Art. Erst mit Beginn des Krieges im Jahre 1914 wird die Produktion von Rüstungsgütern auf Fließbandverfahren umgestellt. Während in den ersten Monaten der Mobilmachung 200 Maschinengewehre pro Monat in Deutschland gefertigt werden, kann diese Quote bereits 1915 vervierfacht werden. Diese Zahlen werden kontinuierlich gesteigert: Im Jahr 1916 gelingt es, die Produktion auf 2300 Maschinengewehre pro Monat zu erhöhen, ab dem Herbst 1917 beträgt die monatliche Stückzahl sogar 14.400.
Der Artilleriekrieg
Auch die riesige Steigerung der Menge von Geschützen aller Art und die rasche technische Verbesserung ihrer Schussgeschwindigkeit, Genauigkeit und Reichweite führen zu einer neuen Qualität des Krieges. 1916 beginnt die Schlacht um Verdun mit einem unvorstellbar großen Beschuss aus "1000 Rohren". Ein Jahr später, im Juli 1917, kommen zur Eröffnung des alliierten Angriffs in Flandern bereits 3000 Geschütze zum Einsatz. Nun können Orte aus einer Entfernung von bis zu 13 Kilometern dem Erdboden gleich gemacht werden. So fallen auch die meisten Soldaten und Zivilisten nicht dem Nahkampf oder dem Gaskrieg, sondern dem Artilleriebeschuss zum Opfer.
Die technische Weiterentwicklung der Artillerie und deren immer größerer Einsatz in den Materialschlachten trägt maßgeblich zur Brutalität des Krieges bei.
© LOOKS/Library of Congress
Der Konflikt wird zu einem industrialisierten Volkskrieg. Die kriegführenden Nationen gehen dazu über, immer mehr und immer neue Waffen zu erfinden und zu produzieren. In den Fabriken, in denen zumeist Arbeiterfrauen und Kriegsgefangene, aber auch verschleppte zivile Zwangsarbeiter aus dem Ausland beschäftigt werden, wird nunmehr Tag und Nacht für den totalen Krieg gearbeitet. Die Produktion von Gegenständen für den Bedarf des täglichen Lebens tritt dadurch ganz zurück. Die Heimatfront wird in den Dienst des Krieges gestellt.
Der Staat als Wirtschaftslenker
Durch diese Industrialisierung des Krieges gewinnt der Staat immer mehr Einfluss. Die Fabriken werden zwar nicht verstaatlicht, und auch die Preisgestaltung der Produktion für den Krieg bleibt den Unternehmern überlassen, welche hierbei enorme Profite erzielen können. Gleichwohl legt der Staat die Hand auf die Industrieproduktion, denn ihm obliegt während des Krieges die Beschaffung und Verteilung von Rohmaterialien und Arbeitskräften für die private Produktion. So erhält der Staat im Ersten Weltkrieg eine neue und folgenschwere Rolle als Lenker der Wirtschaft.