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Armenien

 
 

Der Völkermord an den Armeniern ist der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts, auch wenn der Charakter der Vertreibung und des Massenmordes noch heute von der türkischen Regierung vehement bestritten wird.

Der Erste Weltkrieg ist im Wesentlichen noch kein Krieg gegen die Zivilbevölkerung und in dieser Hinsicht noch kein "totaler Krieg". Es gibt allerdings eine Ausnahme, nämlich das Schicksal der armenischen Minderheit im Osmanischen Reich. Die sogenannte "armenische Frage" spielt seit den 1850er-Jahren in der internationalen Politik eine Rolle. Der Berliner Vertrag von 1878 über die Zukunft des Osmanischen Reiches verlangt in Artikel 61 "Reformen" für ein besseres Zusammenleben der verschiedenen Ethnien im Osmanischen Reich. Nach der Jungtürkischen Revolution von 1908, als die Türkei nach einem Militärputsch wieder ein Verfassungsstaat wird, scheint das im Fall der Armenier zu gelingen, denn sie werden als gleichberechtigte Gruppe anerkannt. Aber schon 1913/14 kommt es zu neuer Entfremdung, weil das Osmanische Reich in den Balkankriegen nahezu seinen gesamten europäischen Besitz an die Balkannationen abtreten muss und vielfach ethnische Verschiebungen stattfinden.

Menschenmenge aus türkischen Männern
Türkische Männer versammeln sich nach dem Kriegseintritt ihres Landes, Anfang November 1914.
© LOOKSfilm

Der Kriegseintritt der Türkei auf Seiten der Mittelmächte im November 1914 wird von einer intensiven nationalistischen Propaganda begleitet, die sich auch wieder gegen die armenische Minderheit richtet. Die Türkei greift Russland im Kaukasus an und muss bis Januar 1915 nach blutigen Kämpfen Verluste von mehr als 10.000 Mann hinnehmen. Auf Seiten der Russen sollen auch starke armenische Milizen gegen die Türkei gekämpft und sich an Aufständen beteiligt haben.

Der Beginn der "Verschickung"


Das nimmt die türkische Regierung zum Anlass, ab dem 24. April 1915 in Konstantinopel mehr als 2500 armenische Honoratioren und Intellektuelle zu verhaften, zu foltern und zu töten. Dies ist der Beginn der sogenannten "Verschickung". Bei dieser Aktion kommen zwischen 800.000 und 1.200.000 Armenier – Männer, Frauen und Kinder - um.

Eine armenische Frau beugt sich über ein totes Kind auf einem Feld in der Nähe von Aleppo
Ein Opfer der "Verschickung": ein totes armenisches Kind in der Nähe von Aleppo
© LOOKS/Library of Congress

Die Armenier werden von Militär und Polizei erschossen und aufgehängt, in der Wüste entlang des Euphrats ausgesetzt und dem Hungertod überlassen, von Räuberbanden ausgeplündert und getötet. Die Mordaktionen und Todesmärsche werden erst Ende 1916 wegen anhaltender internationaler Proteste eingestellt. Aber auch danach finden bis Kriegsende weitere Verfolgungen statt.

Gleichgültige Zuschauer


Dies alles geschieht unter den Augen deutscher Generäle, die im Rahmen des Bündnisses in der Türkei tätig sind. Auch die deutsche Regierung bekundet ihr Desinteresse am Schicksal der Armenier. Ihr geht es allein darum, den türkischen Bundesgenossen "bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu haben, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht", so Reichskanzler Bethmann Hollweg in einem Kommentar zu einem diplomatischen Bericht vom Dezember 1915.

Eine Gruppe Armenierinnen mit ihren Kindern
Verwitwete Armenierinnen mit ihren Kindern, 1915
© LOOKS/Library of Congress

Bekannt geworden sind die Armeniergräuel insbesondere durch den deutschen Weltenbummler und Kriegsjournalisten Armin T. Wegner, dessen Fotoreportagen und Vorträge nach 1919 die europäische Öffentlichkeit bewegen und die trotz einiger Verfälschungen immer noch die wichtigste Dokumentation dieses ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts sind.