Ort

Brest-Litowsk

 
 

Im November 1917 wird das bürgerliche Regime in Russland nach wiederholten Kriegsniederlagen von den kommunistischen Gruppen unter Lenin, den Bolschewiki, gestürzt. Wenig später wenden sich die Revolutionäre mit einem von Lenin verfassten "Dekret über den Frieden" an die Weltöffentlichkeit.

In diesem berühmten Aufruf fordert die Regierung des revolutionären Russland einen "Frieden ohne Annexionen und Kontributionen", also ohne territoriale Ansprüche und Reparationszahlungen, und ruft die Arbeiter in aller Welt auf, für einen solchen Frieden zu kämpfen. Der erste Schritt dahin ist ein Waffenstillstand mit den Mittelmächten, die ohnehin kurz vor dem Sieg über die erschöpften russischen Soldaten stehen.

Die deutschen und russischen Delegationen sitzen und stehen um einen Tisch herum bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk
Die Delegationen bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk
© LOOKS/Library of Congress

Die Verhandlungen über den Friedensvertrag finden in Brest-Litowsk statt, dem Sitz des deutschen Oberkommandos der Ostfront. Bis zum 9. Januar 1918 bleiben diese allerdings ohne Ergebnis, denn die Mittelmächte weigern sich, einen Frieden "ohne Kontributionen und Annexionen" einzugehen. Sie verlangen den Verzicht Russlands auf Polen, Litauen und einen Teil Lettlands.

Russische Verzögerungstaktik


Die Sowjets wollen diese unannehmbaren Forderungen ausmanövrieren, indem sie die Verhandlungen immer wieder verzögern. Sie hoffen, dass die deutschen Arbeiter, die ja auch des Krieges müde sind, ihre Regierung und Militärs auf Dauer zwingen, den Krieg ohne Eroberungen zu beenden und sich aus dem neuen sozialistischen Russland zurückzuziehen. Das Friedensangebot der Sowjets findet in allen Ländern Europas ein großes Echo. Im Januar 1918 kommt es von Wien bis Berlin zu einer riesigen Welle von Streiks für den Frieden. Diese Proteste können von den Regierungen aber noch einmal unterdrückt werden, weil trotz aller Entbehrungen und Kriegsmüdigkeit die Hoffnung auf einen Sieg in allen Ländern auch bei den Arbeitern noch überwiegt.

Der russische Revolutionär Leon Trotzki
Leo Trotzki (1879-1940): Der russische Revolutionär ist maßgeblich am Aufbau der Roten Armee beteiligt. Nach seiner Entmachtung durch Stalin geht er 1929 ins Exil. 1940 wird er auf Anordnung Stalins in Mexiko ermordet.
© LOOKS/Library of Congress

Diese Stimmungslage erkennen die bolschewistischen Führungsfiguren Lenin, Bucharin und Trotzki aber nicht. Sie glauben, dass die Arbeiter bei einer Unterwerfung Sowjetrusslands nicht mehr mitspielen. Aus diesem Grund erklären sie Anfang Februar 1918 einseitig das Ende des Kriegszustandes und verfügen die sofortige Demobilisierung der russischen Armee. Die deutschen Generäle nutzen diese Gelegenheit, um Russland kampflos weiter zu besetzen. Das wehrlose Russland muss am 3. März 1918 schließlich einen Frieden unterzeichnen, in dem es ohne weitere Verhandlungen den maximalen Ansprüchen der Mittelmächte zustimmt. Das ist genau der Zeitpunkt, an dem die deutsche Armee im Westen zum "letzten Hieb" ansetzt und die sogenannte Michael-Offensive gegen die Alliierten einleitet. Niemand eilt den Russen zur Hilfe. Internationale Arbeiterbrigaden, wie sie in den 1930er-Jahren in Spanien gegen Franco kämpfen, gibt es 1918 noch nicht.

Der "vergessene Frieden"


Der Frieden von Brest-Litowsk ist ein Gewaltfrieden mit weitreichenden territorialen und ökonomischen Verlusten für Russland. Er ist vergleichbar mit dem, was die Alliierten ein Jahr später in Versailles den Deutschen aufoktroyieren. Allerdings wird Brest-Litowsk heute noch als der "vergessene Frieden" bezeichnet. Die Russen sind darüber hinweg, weil der Vertrag nach dem Krieg annulliert wurde. Die Deutschen haben auch nicht mehr davon gesprochen, schließlich war es ja ein von ihnen verantworteter, beschämender "Schandfrieden".