Frage

Welche Spuren hinterlässt der Krieg bei den Menschen?

 
 

Der Erste Weltkrieg hinterlässt Millionen Tote und vor allem in Belgien und Nordfrankreich verwüstete Landschaften. Ebenso belastend sind die oft vernachlässigten mentalen und psychologischen Folgen für die Nachkriegsgesellschaften.

In fast allen Ländern führt der Krieg zunächst zu einer Brutalisierung der Politik. In Russland tobt ein Bürgerkrieg und auch in Deutschland hinterlässt der Konflikt nach 1919 eine zutiefst gespaltene Gesellschaft. In Berlin, München, Leipzig und Dresden flackern kommunistische Aufstände auf. In München wird sogar eine revolutionäre Räterepublik gegründet, die im Frühjahr 1919 von den Freikorps, die die Regierung dorthin beordert hat, blutig zerschlagen wird. Immer wieder kommt es zu Aufständen vor allem kommunistischer Gruppen, die nach der Katastrophe von 1918 die Chance sehen, endlich eine neue Weltordnung durchzusetzen. Die meisten Deutschen empfinden das als lebensgefährliche Bedrohung und kämpfen dagegen unerbittlich.

Walter Rathenau
Walter Rathenau (1867-1922): Erst wenige Monate nach seiner Ernennung zum Reichsaußenminister wird Rathenau im Juni 1922 von Mitgliedern der rechtsradikalen "Organisation Consul" ermordet.
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Überhaupt werden in Deutschland nach dem Krieg politische Meinungsverschiedenheiten nicht mehr nur mit Worten ausgetragen, sondern mit Gummiknüppel, Fahrradkette, Messer, Pistole und Maschinengewehr. Waffen gibt es trotz Demilitarisierung und Vernichtung durch die Siegermächte in den vielen geheimen Depots genug, etwa bei der "schwarzen Reichswehr" in München. Der Überfall auf den politischen Gegner - vor dem Krieg eine Seltenheit - wird jetzt zum Normalfall. Der Mord an Außenminister Walter Rathenau im Jahr 1922 ist nur die Spitze einer langen Serie von Attentaten auf führende Politiker der Weimarer Republik.

Pazifismus in Frankreich


Auch in Frankreich und Großbritannien werden politische und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen unmittelbar nach dem Krieg gewalttätiger – allerdings nur kurzfristig. Zwar tritt Frankreich in den 1920er-Jahren als Militärmacht in Nordafrika, im Rheinland, in Oberschlesien, am Schwarzen Meer und im Mittleren Osten auf. Diese Außenpolitik genießt aber immer weniger Rückhalt in der Bevölkerung. Eine pazifistische Haltung, die sich vor allem aus der Erkenntnis der Nutzlosigkeit des Krieges speist, breitet sich aus und erfasst nahezu alle Gruppen der französischen Gesellschaft.

Der Pariser Arc de Triomphe
Die Siegesfeier vor dem Pariser Arc de Triomphe, 14. Juli 1919: Ein Jahr später wird hier das "Grab des unbekannten Soldaten" eingeweiht.
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In Frankreich entsteht zudem eine kollektive Trauergemeinschaft um die mehr als 1,3 Millionen gefallenen Soldaten. Der Pariser Arc de Triomphe mit dem "Grab des unbekannten Soldaten" wird zu einer zentralen Gedenkstätte, die alle akzeptieren. Zudem wird in jeder französischen Gemeinde ein Denkmal für den einfachen Frontsoldaten, den "Poilu", errichtet, auf dem die Namen aller Kriegsgefallenen der jeweiligen Gemeinde eingraviert werden. Über die politischen Fronten hinweg wird die gemeinsame Trauer mit Fahnenhissung an jedem 11. November in allen französischen Gemeinden bis heute eingehalten.

Der deutsche Gefallenenfriedhof im belgischen Langemarck
Der deutsche Gefallenenfriedhof im belgischen Langemarck
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Die deutsche Gesellschaft dagegen gelangt nach 1918 zu keinem gemeinsamen Gedenken der zwei Millionen Gefallenen, die ja zumeist auch im Ausland bestattet sind und deren Gräber in Frankreich die Angehörigen erst ab 1925 besuchen dürfen. So geht der direkte Kontakt des Gedenkens am Grabe für die Deutschen verloren. Der Strom an britischen und französischen Besuchern zu den Gedenkstätten der Westfront reißt im Gegensatz dazu bis heute nicht ab.

Das Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen
Das 1927 eingeweihte Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen
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Bis 1933 gelingt es in Deutschland nicht, ein gemeinsames Ehrenmal für alle Kriegsgefallenen zu errichten. Es entstehen sowohl Denkmäler, die Soldaten in Siegespose oder vom Dolchstoß gefällt zeigen, als auch Mahnmale mit Botschaften und Inschriften wie "Nie wieder Krieg". Nicht ohne Grund kann man von einem "Stellungskrieg der Denkmäler" im Deutschland der 1920er-Jahre sprechen. Die Dolchstoß-Diskussion in der deutschen Gesellschaft erschwert ein gemeinsames Totengedenken weiter. Hinzu kommt das Trauma, das der "Kriegsschuld-Paragraph" des Versailler Vertrages auslöst. Deutschland und seine Verbündeten haften für alle Schäden, die die Alliierten durch die "Aggression" des Feindes erlitten haben. In Deutschland leben nach dem Krieg mehr als vier Millionen schwerverwundete Soldaten, weitere zwei Millionen sind gefallen. Soll dieses Opfer umsonst gewesen sein? Unter diesen Umständen bleibt der Erste Weltkrieg ein kollektives Trauma der Deutschen, das erst bewältigt zu sein scheint, als Adolf Hitler Revanche und neue Größe verspricht.