Frage
Warum kommt es zu Protesten gegen den Krieg?
Proteste gegen den Krieg gibt es von Anfang an, aber im Zeichen des "Burgfriedens" und der "Union Sacrée" bleiben sie die absolute Ausnahme. Zu Beginn wird der Krieg noch überall als gerecht und notwendig, ja sogar als heilig empfunden. Ab 1917 kommt es dann jedoch in mehreren Ländern zu Meutereien und Streikwellen.
Auf Seiten der Soldaten bleibt es bis 1917 in allen Armeen bei vereinzelten Protesten und Ungehorsam – etwa 1916 vor Verdun, als Gruppen von französischen Soldaten beginnen, wie Schweine zu grunzen, um gegen das Abschlachten zu protestieren. Im Frühjahr 1917 ist es dann des Schlachtens zuviel: Die französischen Soldaten rotten sich nach der fehlgeschlagenen Nivelle-Offensive am Chemin des Dames im Norden Frankreichs zusammen und verweigern Militärbefehle.
Französische Truppen während der Nivelle-Offensive im Frühjahr 1917
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Innerhalb weniger Tage erfasst diese Bewegung, die vor allem von Soldaten in der Kampfpause ausgeht, nahezu zwei Drittel der französischen Armeedivisionen. Die Armeeführung greift brutal durch: Die Kriegsgerichte sprechen 554 Todesurteile aus, von denen allerdings nur 49 vollstreckt werden. 1300 Meuterer werden aber zu schweren Strafen etwa in Form von Zwangsarbeit verurteilt. Politik und Militär behaupten, dass Zersetzungspropaganda der Grund für diese Unruhen gewesen sei. Das ist aber nicht der Fall, denn alle Soldaten sagen vor ihren Richtern aus, dass sie keineswegs aufhören wollten, das Vaterland zu verteidigen, es aber leid seien, in unnützen und ergebnislosen Offensiven zu Zehntausenden abgeschlachtet zu werden.
Ablösung von Nivelle
Die französische Regierung reagiert, indem sie den Oberbefehlshaber Robert Nivelle, der als Schlächter verrufen ist, durch Philippe Pétain ersetzt. Dieser verschafft sich einen ausgezeichneten Ruf bei den Soldaten, indem er die Qualität des Essens verbessert, die Organisation des Fronturlaubs neu regelt und auf weitere Offensiven verzichtet. Die deutsche Heerführung ist über diese Vorkommnisse zwar bestens informiert, verschweigt sie aber gegenüber der Truppe aus Furcht, dass die deutschen Soldaten ähnlich empfinden und ebenfalls meutern könnten. Bis zum Frühjahr 1918 gibt es unter den Soldaten keine weiteren nennenswerten Unruhen.
General Erich Ludendorff (1865-1937)
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Dann beginnt in der deutschen Armee der Prozess des Wegschmelzens: Zwischen 750.000 und 1.000.000 Soldaten verlassen in den letzten Kriegsmonaten auf eigene Faust die Front, etwa bei Transporten in völlig überlasteten Verladestationen an der Westfront oder auf dem Weg von der Ostfront nach Westen. Die Soldaten sind erschöpft und mutlos, zu stark beginnt sich die materielle Überlegenheit der Alliierten auszuwirken. Viele Soldaten fliehen auch in die Kriegsgefangenschaft. Allein am 8. August 1918, dem "schwarzen Tag des deutschen Heeres" (General Erich Ludendorff), werden nach dem erfolgreichen Angriff der Alliierten bei Amiens mehr als 30.000 Soldaten verlustig gemeldet, während die Alliierten etwa die gleiche Zahl Kriegsgefangene angeben.
Deutsche Soldaten, die in amerikanische Gefangenschaft geraten sind.
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Ab 1917 mehren sich auch an der Heimatfront die Protestaktionen und Streiks. Diese sind vor allem dem zunehmenden Hunger geschuldet, werden aber durch die Februar-Revolution in Russland weiter geschürt. Denn die Revolte der Petrograder Munitionsarbeiter, die sich mit großer Geschwindigkeit ausbreitet und zum Sturz des zaristischen Regimes führt, zeigt die Möglichkeiten von Arbeiterprotest auf. In Frankreich etwa verweigern die Näherinnen in den Uniformfabriken die Arbeit.
Proteste in Deutschland
In Deutschland kommt es vermehrt zu Hungerrevolten, vermischt mit Elementen politischen Protestes. Am schwerwiegendsten ist der Streik der Munitionsarbeiter im Januar 1918. Von Wien ausgehend ergreift er die Fabriken in Süddeutschland, dann im Ruhrgebiet und Berlin, wo schließlich am Ende des Monats Hunderttausende im Ausstand sind. Auch hier greifen die militärischen Befehlshaber brutal durch. Wer weiter streikt, wird als nicht mehr "kriegswichtig" eingestuft und muss sofort zum Dienst an die Front. Allein Anfang Februar erhalten mehr als 50.000 Munitionsarbeiter einen solchen Einberufungsbefehl. Die strafversetzten Soldaten vergiften die Stimmung der dortigen Einheiten und tragen zu deren Desertionsbewegungen bei.
Streikende Arbeiter vor dem Volkshaus in Jena, Januar 1918
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In diesen Streiks ist oft der Grund für die Niederlage Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches gesucht worden. Die Generäle behaupten auch in der Nachkriegszeit, dass die Truppe kommunistischer Propaganda erlegen sei und dadurch die Kampfmoral verloren habe. Das Sinken der Moral ist aber vor allem durch die unzureichende Versorgung der Truppe mit Lebens- und Kampfmitteln zu erklären. Ab dem Frühsommer 1918 kommt der Nachschub wegen fehlender LKW nur noch sporadisch durch. Die deutschen Soldaten sehen sich einer enormen quantitativen Übermacht an Gegnern gegenüber, die wohlgenährt sind und über die damals besten Angriffswaffen verfügen. Den amerikanischen, französischen und britischen Panzern haben sie nichts, aber auch gar nichts mehr entgegenzusetzen, so dass die Front im Herbst 1918 immer wieder eingedrückt wird.
Geburt der "Dolchstoßlegende"
Deshalb sieht sich die militärische Führung schließlich dazu genötigt, einen Waffenstillstand zu verlangen. Den aber sollen laut Ludendorff diejenigen "auslöffeln, die uns diese Niederlage eingebrockt haben", nämlich die Zivilisten, die es angeblich versäumt haben, die Nation für den Sieg zu mobilisieren. Das ist die Geburt der so verhängnisvollen Legende vom "Dolchstoß" gegen das deutsche Heer.