Frage

Warum machen die Menschen den Krieg so lange mit?

 
 

Bereits in den ersten Monaten des Kriegs sterben Hunderttausende Soldaten. Auch für die Heimatfront bringt der Krieg Entbehrung und Leid. Dennoch bleiben Proteste und Aufstände lange Zeit eine Ausnahme. Die Gründe für dieses Durchhalten sind vielfältig.

Die meisten Soldaten des Ersten Weltkrieges sind "Zivilisten in Uniform". Sie sind aufgerufen, ihre jeweilige Heimat gegen einen fürchterlichen Gegner zu verteidigen. Von diesem wird behauptet, er sei willens, die Nation zu zerstören, zu versklaven und zu vernichten. Das gilt vor allem für Franzosen, Deutsche, Österreicher, Italiener, Serben und Türken. Die Briten kämpfen genauso wie die Amerikaner für die Befreiung der ganzen Zivilisation. Die deutschen Soldaten bleiben bis zum Herbst 1918 zudem der Überzeugung, dass sie einen "Wall aus Eisen und Feuer" in Frankreich und anderswo errichtet haben, der den schrecklichen Gegner daran hindert, Deutschland in Schutt und Asche zu legen.

Eine Propaganda-Postkarte stellt Soldaten beim Kämpfen unter der französischen Fahne dar
Eine französische Propaganda-Postkarte: Soldaten sterben den Heldentod für die Verteidigung der französischen Nation.
© LOOKSfilm

Dazu kommt die unerbittliche Disziplin, die die Soldaten im Felde hält. In Frankreich und England - mehr als in Deutschland - werden von Beginn des Krieges an exemplarische Strafen vollstreckt. Für eine Flucht oder Feigheit vor dem Feind wird ohne Weiteres die Todesstrafe verhängt. Bei Ungehorsam oder Widerspruch drohen lange Kerkerstrafen und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Dies ist umso schwerwiegender, als ein ehrloser Mann zu jener Zeit sozial vollständig geächtet wird. Der damalige Ehrbegriff ist mit dem heutigen nicht zu vergleichen. Während des Ersten Weltkriegs ist er das moralische Gerüst jedes einzelnen Soldaten und damit der Truppe.

Deutsche Soldaten spielen Karten in einem Schützengraben
Deutsche Soldaten spielen Karten in einem Schützengraben. Kameradschaft ist einer der wichtigsten Faktoren für den Durchhaltewillen der Truppen.
© Kulturhistorisches Museum Rostock

Ein weiterer Faktor beim Durchhalten an der Front ist die Kameradschaft. Ein Soldat lässt seine Gruppe, seinen Zug, seine Kompanie nicht im Stich, da geht es um Pflicht, Ehre und Freundschaft, auch unter dem Beschuss der gegnerischen Artillerie. Die Soldaten wissen überhaupt nicht, wie groß der Krieg ist, wie viele Menschen jeden Tag an der Front umkommen. Für sie gibt es nur ihren Sektor, wo bei aller Grausamkeit des Erlebten die Verluste vergleichsweise überschaubar bleiben. Wenn von einer Kompanie 100 Mann gefallen sind, schweißt das die übrigen 150 Mann mitunter umso fester zusammen.

Durchhalten in der Heimat


Warum die Heimat den Krieg so lange ausgehalten hat, ist schwerer zu erklären. Für die Franzosen ist es einfacher, alle Entbehrungen und den Verlust des Mannes oder des Sohnes zu ertragen, weil es gilt, den Deutschen oder "Hunnen" aus dem eigenen Land zu vertreiben. Die deutsche Bevölkerung ist zwar überzeugt, dass der Krieg zur Verteidigung des Vaterlandes dient. Da kein Feind im Land steht, ist es aber schwerer, das auf Dauer zu vermitteln. Ab 1916 beginnt daher die Heimatfront in Deutschland zu bröckeln. Unzufriedenheit und Proteste dehnen sich aus, der "Burgfrieden" von 1914 ist nicht mehr vorhanden. In Russland gibt es in der bürgerlichen Mittelschicht und unter den Intellektuellen eine verbreitete Idee vom Endkampf des Slaven- und des Germanentums. Die gemeinsame Überzeugung, dass der deutsche Kaiser die Russen unterwerfen wolle, wirkt auch bei der Landbevölkerung. Dieser Rückhalt ändert sich allerdings relativ rasch und bricht 1917 schließlich zusammen.

Ein deutsches Plakat für den Opfertag 1918 appelliert an den Patriotismus der Bevölkerung
Heilige Flamme für das Vaterland: Ein deutsches Plakat für den Opfertag 1918 appelliert an den Patriotismus der Bevölkerung. Am Opfertag werden Spenden für die Truppen an der Front gesammelt.
© LOOKS/Library of Congress

Die Regierenden aller kriegführenden Länder wiederum wissen genau, dass der Krieg bis zum siegreichen Ende durchgestanden werden muss, weil der Staat sonst bankrott ist und sie selbst durch eine Revolution gestürzt werden könnten. Schließlich ist der Krieg mit seinen unvorstellbar großen Ausgaben nur auf Kredit finanziert, nämlich durch Anleihen und auswärtige Verschuldungen. Wenn am Ende nicht der geschlagene Gegner die Zeche bezahlt, wie überall hoch und heilig versprochen wird, bleibt der eigene Staat auf ungedeckten Kosten in Milliardenhöhe sitzen. Schon das verbietet ein Aufhören "ohne Annexionen und Kontributionen", das heißt ohne territoriale Ansprüche und Reparationszahlungen, wie es die Pazifisten, der Papst und schließlich auch der russische Kommunist Lenin fordern.