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Versailles
Im Pariser Vorort Versailles wird am 28. Juni 1919 der Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten unterzeichnet. Für Deutschland ist der Vertrag eine Demütigung: Er brandmarkt Deutschland als Hauptkriegsschuldigen und setzt umfangreiche deutsche Gebietsabtretungen sowie hohe Reparationszahlungen an die Alliierten fest.
Am 18. Januar 1919 heißt der französische Staatspräsident Raymond Poincaré die Delegierten von 27 Nationen zur Eröffnung der Pariser Friedenskonferenz im prunkvollen Uhrensaal des französischen Außenministeriums willkommen. Vertreter aus Deutschland sind nicht eingeladen, weil die Deutschen, wie Poincaré sagt, ein Verbrechen gegen die Menschheit begangen und sich mit deren Blut besudelt haben. Sie werden erst im April vorgeladen, um im Schloss Versailles die bereits ausgehandelten Friedensbedingungen anzuhören und diese zu unterzeichnen. In der Geschichte der internationalen Beziehungen hat es einen solchen Affront noch nie gegeben. Immer waren die Besiegten zum Verhandeln eingeladen worden. Versailles steht für eine Abrechnung der Sieger mit den Besiegten nach einem totalen Krieg.
Eine Plenarsitzung der Pariser Friedenskonferenz im französischen Außenministerium am Quai d’Orsay in Paris
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Dass die Pariser Friedenskonferenz ausgerechnet am 18. Januar 1919 beginnt und ihren Abschluss im Schloss Versailles findet, haben die Alliierten bewusst ausgewählt. Denn Politik ist immer auch Symbolpolitik, besonders nach gewonnenen Kriegen. Schließlich hat Bismarck am 18. Januar 1871 mitten im Krieg gegen Frankreich in Versailles die Gründung des Deutschen Reiches verkündet. Die offizielle Begründung für die Wahl von Versailles gibt schon die Tonart der Verhandlungen an: "Auf unserem Territorium, in Versailles, vor den Toren unserer Hauptstadt, hat Deutschland den Grundstock für seine Weltherrschaft gelegt, die es durch die Vernichtung der Freiheit der Völker aufbaute", so der französische Außenminister Stephen Pichon bereits im Oktober 1918. Deshalb soll sich gerade in Versailles der Kongress versammeln, "dessen wichtigster Grundsatz das Recht der Völker auf Selbstbestimmung sein wird".
Das Schloss Versailles vor den Toren der französischen Hauptstadt: Hier findet die Unterzeichnung des Friedensvertrags statt.
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Vier Tage dauert die Fahrt, die die deutsche Delegation im April 1919 zurücklegen muss, um nach Versailles zu gelangen und die Friedensbedingungen in Empfang zu nehmen. Die französischen Militärs lassen den Sonderzug auf Umwegen durch das völlig zerstörte Kriegsgebiet Nordfrankreichs rollen. Sie wollen den Deutschen zeigen, was sie mit ihrem barbarischen Krieg angerichtet haben. Der Journalist Victor Schiff, der die Delegation begleitet, notiert in seinem später veröffentlichten Reisebericht "So war es in Versailles" das Entsetzen der deutschen Delegation: So hat sich Deutschland den Großen Krieg nicht vorgestellt. Dennoch bestreiten die Deutschen, dass sie allein für die Zerstörung in Nordfrankreich verantwortlich sind. Zwar ist dies zutreffend, aber die Deutschen vergessen bei dieser Zurückweisung der Vorwürfe, dass die Franzosen und ihre Alliierten alles nur getan haben, um sie aus Frankreich zurückzudrängen.
Stunde der Abrechnung
So spricht denn auch der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau bei der Übergabe der Friedensbedingungen am 7. Mai von einer "Stunde der Abrechnung" für den fürchterlichen Krieg, den Deutschland der Welt aufgezwungen habe. Diese Beschuldigung ist so vernichtend, dass der Führer der deutschen Delegation, Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau, seine Erwiderung im Sitzen verliest, was die Anwesenden aufs Äußerste erregt. Deutschlands Weigerung, sich für alleinschuldig zu bekennen - und das ist der Sinn dieser Geste -, provoziert noch schärfere Formulierungen. Im Ultimatum vom 16. Juni, mit dem die Alliierten die Unterschrift der Deutschen erzwingen, steht: "Wenigstens sieben Millionen Tote liegen in Europa begraben und mehr als zwanzig Millionen Lebender legen durch ihre Wunden und Leiden von der Tatsache Zeugnis ab, dass Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen."
Die deutsche Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz unter Leitung von Reichsaußenminister Graf Brockdorff-Rantzau (Vierter von links)
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Dementsprechend verlangen die Sieger die Auslieferung des Kaisers und hoher Militärs für diese Verbrechen (§§ 227-229 des Versailler Vertrags) und legen fest, dass Deutschland durch seine "Aggression" schuld am Kriege und deshalb verpflichtet ist, alle Schäden der Alliierten zu bezahlen (§ 231). Das sind die in Deutschland verhassten "Schmachparagraphen", deren Wirkung die positiven Errungenschaften dieses Vertragswerkes lange Zeit vollständig überdecken, darunter insbesondere die im § 1 festgelegte Schaffung des Völkerbundes. Darüber hinaus verpflichtet der Vertrag Deutschland zu hohen Reparationszahlungen und legt umfangreiche deutsche Gebietsabtretungen, eine alliierte Besatzung im Rheinland und eine erhebliche Verkleinerung der deutschen Streitkräfte fest. Diese Bestimmungen tragen dazu bei, die innenpolitische Atmosphäre in Deutschland zu vergiften und die junge Weimarer Republik zu destabilisieren.
Schwere Hypothek
Nach viereinhalb Jahren totaler Kriegsanstrengung sind die Finanzen der meisten Teilnehmer derart zerrüttet, dass die Siegermächte solch unmäßige Reparationsforderungen stellen müssen, um nicht selber Bankrott zu gehen oder vom Unwillen der eigenen Bevölkerung weggeschwemmt zu werden. Der Versailler Vertrag hat keinen wirklichen Frieden stiften können, weil der Krieg in den Köpfen aller Beteiligten weitertobt, auch wenn die Waffen schweigen. Die Denkschablonen, die über Jahre hinweg von Kriegspropaganda und Kriegsleid geschliffen worden sind, wirken weiter.