Ort
Tannenberg
Tannenberg ist der erste große deutsche Sieg des Krieges. In Ostpreußen gelingt es den Generälen Hindenburg und Ludendorff, im August und September 1914 zwei russische Armeen einzukreisen und zu vernichten. Die Siege begründen nicht nur den Tannenberg-Mythos, sondern bilden auch die Grundlage für Hindenburgs kometenhaften Aufstieg zum deutschen Volkshelden.
Ab Mitte August 1914 stoßen die russischen Heere nach Ostpreußen vor und legen alles in Schutt und Asche. Die Menschen fliehen zu Tausenden. Es ist das erste und einzige Mal, dass während des Ersten Weltkrieges Kämpfe auf deutschem Boden stattfinden. Der pensionierte General Hindenburg und der 49-jährige Erich Ludendorff werden von der Obersten Heeresleitung zur Hilfe gerufen. Ludendorff gilt als ebenso eigensinniger wie hochbegabter und außergewöhnlich junger General, der sich sowohl im Generalstab als auch an der Front in Belgien bewährt hat.
Nach dem russischen Einmarsch in Ostpreußen: die zerstörte Wohnung eines Försters in Muschaken
© Kulturhistorisches Museum Rostock
Innerhalb weniger Tage wenden die beiden neuen Führer der 8. Armee das Blatt, indem sie zwei russische Armeen nicht nur stoppen, sondern geradezu vernichtend schlagen. Ludendorff organisiert den Aufmarsch so, dass die deutschen Truppen mit Hilfe der bestehenden Eisenbahnlinien die beiden russischen Armeen voneinander trennen, umzingeln und einzeln schlagen können.
92.000 Gefangene
Es ist eine strategische und taktische Meisterleistung. Die 2. russische Armee (Narew-Armee) unter General Alexander Samsonow wird vom 26. bis 30. August in der Nähe von Hohenstein im südlichen Ostpreußen eingekesselt und vernichtet, die 1. russische Armee unter General Paul von Rennenkampf (Njemen-Armee) wenige Tage später an den Masurischen Seen besiegt. Allein bei der ersten Schlacht geraten 92.000 russische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Eine solch große Zahl von Gefangenen in einer einzigen Schlacht hatte es in der Geschichte noch nie gegeben. Dazu kommen mehr als 300 Geschütze als Kriegsbeute.
Nach der Schlacht: Massengräber bei Tannenberg in Ostpreußen
© Kulturhistorisches Museum Rostock
Die deutschen Siege werden in der Heimat begeistert aufgenommen, schnell propagandistisch ausgeschlachtet und überhöht. Hindenburg trägt selber dazu bei, indem er vorschlägt, dass der Sieg bei Hohenstein nach dem nahegelegenen Ort Tannenberg benannt wird. Denn hier haben im Jahr 1410 Ritter des Deutschen Ordens gegen ein polnisch-litauisches Heer gekämpft und verloren. Diese Schmach soll nunmehr getilgt sein.
Volksheld Hindenburg
Die Schlacht von Tannenberg bildet auch das Fundament für Hindenburgs Aufstieg zum deutschen Volkshelden. Den Siegesruhm erntet Hindenburg ziemlich allein, worüber Ludendorff, der für die Einfädelung der Truppenbewegung in Ostpreußen verantwortlich gewesen ist, sein Leben lang zürnt. Bald werden überall im Reich Hindenburg-Denkmäler errichtet, Straßen und Plätze und sogar die oberschlesische Gemeinde Zabrze nach dem General benannt und dessen Konterfei auf zahlreichen Gegenständen des täglichen Bedarfs abgebildet.
Postkartenmotiv: Hindenburg als "Befreier des Ostens": Hindenburg, zwischen Kaiser Wilhelm II. und Kaiser
Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn, steht auf einem erlegten Bären, dem Symbol für das besiegte
Russland.
© LOOKSfilm
Als 1916 die deutsche Kriegsführung nach den Schlachten von Verdun und der Somme neu ausgerichtet werden muss, werden Hindenburg und Ludendorff gerufen, die Oberste Heeresleitung zu bilden. Das machen sie mit ziemlichem Erfolg und enormer Rücksichtslosigkeit, vor allem gegenüber Kaiser und Regierung. Ab 1917 besteht in Deutschland eigentlich eine Art Militärdiktatur unter der Leitung von Hindenburg und mit Ludendorff als Organisator der Macht im Hintergrund. Die Kanzler werden von ihnen nach Belieben berufen und entlassen, der Kaiser weitgehend entmachtet.
Paul von Hindenburg (links) mit Kaiser Wilhelm II. (Mitte) und Erich Ludendorff (rechts)
© LOOKS/Library of Congress
Nach Kriegsende verschwindet Ludendorff sang- und klanglos ins Ausland. Er taucht erst als Teilnehmer am Hitler-Putsch von 1923 wieder auf. Hindenburg aber bleibt ungeachtet der als Schande empfundenen Niederlage der größte Held der Deutschen. Schon 1919/1920 wollen ihn viele zum Reichspräsidenten gewählt sehen. Als er schließlich im Jahr 1925 kandidiert, wird er mit großer Mehrheit gewählt. Sein Ziel ist es, die Deutschen zu versöhnen, selbst im Rahmen der ungeliebten Republik, die er aber als Staatsform anerkennt.
Das Tannenberg-Denkmal
Eines der Hauptanliegen des Generalfeldmarschalls ist es, ein großes Nationaldenkmal für die Gefallenen des Großen Krieges am Ort der Schlacht von Tannenberg zu schaffen. Aber das bleibt auch ihm verwehrt. Das 1927 eingeweihte Denkmal, das auch als Symbol für die Solidarität des Reiches mit der nun wegen des Versailler Vertrags abgetrennten Provinz Ostpreußen gelten soll, kommt nur durch Spenden aus rechtsnationalen Kreisen zustande. Die preußische Regierung verweigert ihre Unterstützung, weil sie dieses Denkmal für zu völkisch und revanchistisch hält, und bleibt auch der Einweihungszeremonie fern. Bis zum Ende der Weimarer Republik gelingt es in Deutschland nicht, wenigstens im Gedenken der Opfer des Weltkriegs die politische Kluft zwischen Rechts und Links zu überwinden.
Adolf Hitler (links) und Reichspräsident Paul von Hindenburg bei dem ersten "Tag von Tannenberg" am 27. August
1933
© dpa/picture alliance
Hitler knüpft gleich nach seiner Machtübernahme an die Tradition der Rechten und den Hindenburg-Kult an. Beim ersten "Tag von Tannenberg" am 27. August 1933 inszeniert er einen öffentlichkeits-wirksamen Auftritt mit dem greisen Reichspräsidenten vor dem Denkmal. 1934 wird dieses entgegen dem testamentarischen Willen Hindenburgs zur letzten Ruhestätte des im August verstorbenen Reichspräsidenten, ein Jahr später auf Anordnung Hitlers zum "Reichsehrenmal" umgebaut. 1945 wird das Denkmal von der Wehrmacht gesprengt. Seit Kriegsende sind der Tannenberg-Mythos und Hindenburg weitgehend in Vergessenheit geraten.