19.09.1915

Keine Ausreise!

 
 

“Es gibt keinerlei Hoffnung. Jeder, der hier länger gelebt oder deutsche Freunde hat, muss bleiben.“

 
 

Seit ihr Freund Sandor nach Ungarn in die Armee abrücken musste, gibt es für Ethel kaum noch einen Grund, in Deutschland zu bleiben. Doch sie erhält keine Ausreisegenehmigung. Verzweifelt versucht sie an Nachrichten über das Kriegsgeschehen zu gelangen – und muss sich zugleich mit der Polizei auseinandersetzen.

Meine liebe Emmie, es gibt keine Nachricht von Sandor – überhaupt gibt es gerade keinerlei Post aus Österreich und Ungarn. Man sagt, dass dies den Truppenbewegungen nach Serbien geschuldet ist, aber ich bin mir sicher, dass man nur verhindern will, dass die Nachricht von der Niederlage in Galizien durchsickert. Es gibt hier einen Buchhändler, der sein beträchtliches Einkommen früher vor allem mit allen möglichen Magazinen und Zeitungen aus England bestritt. Jetzt im Krieg liegen im Schaufenster nur noch solche aus Deutschland aus, aber ich habe herausgefunden, dass in einem kleinen Hinterzimmer mit geschmuggelten, verbotenen Büchern und Zeitungen gehandelt wird. (...) Ich ging zur Polizei, um meine Ausreise bewilligt zu bekommen – ich dachte an die Schweiz oder die Niederlande, um so nach England zu kommen. Es gibt keinerlei Hoffnung. Jeder, der hier länger gelebt oder deutsche Freunde hat, muss bleiben. (...) Sie erzählen Dir ganz freimütig, dass Du jede Menge Informationen weitergeben könntest, wenn Du außer Landes bist – und deswegen hast Du drin zu bleiben! Es gibt nichts, was diese Polizei nicht über einen weiß. Ich habe fast nie einen Polizisten vor meiner Haustür gesehen. Also muss es einen in Zivil geben. Spionage in Leipzig dürfte kein sehr lohnendes Geschäft sein.