Frage

Wie ändert sich die Rolle der Frauen im Krieg?

 
 

Da es im Großen Krieg neben der Front die Heimatfront gibt, ändert sich in allen Ländern die Rolle der Frau im Sozialgefüge, allerdings mit ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen.

Mit dem Weggang von Millionen Männern müssen Frauen Funktionen und Berufe übernehmen, zu denen sie zuvor keinen Zugang gehabt haben. In der Industrie werden Frauen händeringend gebraucht, weil die meisten Industriearbeiter im Felde stehen. Also strömen Bauernmädchen in die Fabriken, wo sie als Arbeiterinnen in der Rüstungsproduktion beschäftigt werden. Dasselbe gilt für die Dienstmädchen der bürgerlichen Häuser, die nunmehr ebenfalls in die Fabriken gehen und dort kriegswichtige Arbeiten verrichten.

Arbeiterinnen in einem britischen Rüstungsbetrieb
Frauen in einem britischen Rüstungsbetrieb arbeiten an Geschossen.
© LOOKS/BDIC

Die Fabrikarbeit der Frauen wird in Deutschland allerdings viel geringer entlohnt als die der Männer. Kann ein Facharbeiter in einer Gewehrfabrik bis zu vier Mark am Tag erhalten, so bleibt der Lohn der Arbeiterinnen bei 1,50 Mark. Dieser Betrag wird außerdem auf die staatliche Unterstützung der Kriegerfrauen angerechnet. Daher entziehen sich viele arbeitsfähige Frauen dem Einsatz in Fabriken, so dass es 1917 schließlich eine Arbeitsverpflichtung gibt, die aber kaum zur Anwendung kommt. In Frankreich und Großbritannien ist das Lohngefälle zwischen weiblicher und männlicher Arbeit geringer. Allerdings werden wie in Deutschland die Lohnsteigerungen der Kriegszeit durch die exorbitante Erhöhung der Preise für Lebensmittel aufgefressen.

Britische Polizistinnen stehen neben einem Polizisten
Britische Frauen als Polizistinnen
© LOOKS/Imperial War Museum

Bürgerliche Frauen werden jetzt auch als Fabrikinspektorinnen, Verkehrspolizistinnen, Straßenbahnfahrerinnen oder in Verwaltungsberufen, etwa bei der Post, eingesetzt. Sie erhalten eine Uniform, was eine enorme soziale Aufwertung darstellt, müssen sich allerdings verpflichten, nach Ende des Krieges ihre Arbeitsplätze wieder den heimkehrenden Männern zu überlassen. Ähnliche Regelungen gibt es in Frankreich, England und vielen anderen kriegführenden Staaten. Bemerkenswert ist der Übergang vom Sekretär zur Sekretärin. Dieser zuvor ganz männliche Beruf ist zu Ende des Krieges ein rein weiblicher geworden und auch geblieben. Die Frauen, die dies erreichen, gehören zu den Gewinnern des Krieges.

Lazarettarbeit und Sozialfürsorge


Die bürgerlichen Frauenverbände und weiblichen Orden nehmen in der Lazarettarbeit, in der Versorgung der verwundeten Soldaten und der Betreuung von deren Familien einen wichtigen Platz ein. Großbürgerliche Frauen helfen bei der Sammlung und Verteilung der sogenannten Liebesgaben an die Front. Sie widmen sich auch vermehrt der Sozialfürsorge und organisieren beispielsweise Armenküchen, an denen dramatisch wachsender Bedarf besteht.

Französische Rote-Kreuz Schwestern
Französische Rotkreuzschwestern am Anfang des Kriegs
© LOOKS/Library of Congress

Auch in der Familie verändert sich die Rolle der Frau sehr stark. Frauen haben nunmehr das Sagen, selbst wenn die Ehemänner an der Front immer wieder versuchen, per Brief Ratschläge und Anweisungen zu geben. Die Erziehung der Kinder und die Anschaffungen für den Haushalt werden jetzt aber ganz zur Frauensache. Die Frauen werden dadurch zwangsläufig immer selbsständiger, sodass ihr Selbstwert-gefühl entscheidend gestärkt wird.

Fortschritt der Frauenemanzipation?


Sind die Frauen also durch den Krieg emanzipiert worden, wie so oft behauptet wird? Die Bilanz bleibt zweischneidig. Denn als die Männer nach dem Krieg ihre Arbeitsplätze wieder besetzen, ist dort für die meisten Frauen kein Platz mehr. Sie kehren deshalb zu Heim und Herd zurück. In der öffentlichen und privaten Verwaltung allerdings haben Frauen dauerhaft Fuß gefasst. Sie fordern nun auch mehr Teilhabe an der Politik, was schließlich dazu führt, dass in der Weimarer Verfassung das aktive und passive Frauenwahlrecht festgeschrieben wird. Für andere Nationen, etwa Frankreich, trifft dies trotz einer ganz ähnlichen sozialen Entwicklung nicht zu. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird 1922 verworfen. In Großbritannien gilt das Wahlrecht für Frauen zwar bereits seit Anfang 1918, allerdings erst für Frauen ab 30 Jahren. Auf jeden Fall aber sind die Gesellschaften der 1920er-Jahre kulturell von einem neuen Selbstbewusstsein der Frauen geprägt, die nun ohne Weiteres auch allein ins Kino oder Theater gehen können und verstärkt in Parteien und Verbänden politisch aktiv werden. Vor dem Krieg wäre all das undenkbar gewesen.