10.08.1917

Kriegsneurose

 
 
Eine Straßenszene in Baku gegen Ende des Ersten Weltkrieges: Im August 1917 befindet sich Marina Yurlova erneut in einem Lazarett in der Stadt.
Eine Straßenszene in Baku gegen Ende des Ersten Weltkrieges: Im August 1917 befindet sich Marina Yurlova erneut in einem Lazarett in der Stadt.
 
 

Als Marina Yurlova im Herbst 1917 in einem Krankenhaus erwacht, weiß sie nicht, wie sie dorthin gekommen ist. Sie leidet unter einer Krankheit, die während des Weltkriegs erstmals erforscht wird. Damals "Granatenschock" oder "Kriegsneurose" genannt, bezeichnet man das Syndrom heute als "posttraumatische Belastungsstörung". Obwohl es keinen organischen Befund gibt, sind die Betroffenen nicht mehr in der Lage, weiterzukämpfen.

Die Schwester hielt mir ein Stück Papier vor die Augen auf dem geschrieben stand: Gehirnerschütterung. Und darunter: Nobile-Krankenhaus, Baku. Ich wollte sprechen, aber ich vernahm meine eigene Stimme nicht. (…) Ich sah keinen Verband an mir und konnte auch an den Umrissen meines Körpers nichts Verdächtiges entdecken. Trotzdem war ich unfähig, mich zu bewegen. Aber nichts tat mir weh, und ich wusste bestimmt, dass ich nicht verwundet war. (…)
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich mein Gehör wiederfand. (…) Langsam ließ auch die Lähmung des Körpers nach. Aber wenn ich den Kopf hob, schwang er wie ein Pendel in einer sonderbaren seitlichen Bewegung ohne mein Zutun hin und her, und nur wenn er auf dem Kissen lag, konnte ich ihn ruhig halten. (…)
Irgendjemand erzählte mir vorsichtig von der Märzrevolution. Es gäbe in Russland keinen Zaren mehr. (…) Zum ersten Mal seit Wochen dachte ich wieder an Kosel. Kosel war für etwas gestorben, das es nicht mehr gab.